Das bisher Beste am MIT sind für mich die Vorträge, die hier regelmäßig angeboten werden. Wer erkennt beispielsweise den älteren Herrn hier unten im Bild?
Das ist Noam Chomsky. Die Dame ist die Autorin des Buches im Hintergrund; sie hat (noch?) keinen Wikipediaeintrag. Wie man sieht, musste ich mal wieder um die halbe Welt reisen, um deutsche Geschichte zu erleben (in Melbourne war ich damals in einer beeindruckenden Ausstellung über Albrecht Dürer). Dieses Mal ging es um den Mauerfall. Ich muss jedoch gestehen, dass ich tatsächlich nur aus zwei Gründen zum Vortrag ging: Chomsky und des Essens wegen. Es ist nämlich eine sehr nette Angewohnheit, dass hier stets Essen und Trinken gereicht werden, falsch: genommen werden dürfen. Doch zurück zur Mauer. Die fiel ja dann am Ende bekanntlich doch eher zufällig. Die Hintergründe beleuchtete Mary Sarotte — und das ziemlich beeindruckend und gut informiert. Ich habe echt was gelernt, zum Beispiel wie und warum nun gerade an der Bornholmer Straße die Grenze geöffnet wurde etc. Zum Glück war Frau Sarotte auch sehr selbstironisch: ihre Motivation, das Buch zu schreiben, sei hauptsächlich dadurch entstanden, dass US-Amerikaner stets der Ansicht seien, Herr Reagan hätte damals 1987 die Mauer eigenhändig zu Fall gebracht..
Doch Chomsky war tatsächlich noch ein Stück beeindruckender. Er hielt eine kleine Ansprache zu Beginn, in dem er einen Zettel mit zwei drei Zitaten nahm und dann vollkommen frei für eine Viertelstunde darüber refererierte, wie der Mauerfall den USA eigentlich mehr Probleme bereitete: nun fehlte die Legitimation für sämtliche Kriege/Anschläge/Massaker, die man vorher einfach mit ‚Anti-Russland‘ begründete,so wohl zu Hauf (schreibt man das so?!) in Südamerika; er nannte mehrere Beispiele. Man solle ihn nicht falsch verstehen: für die Deutschen war das schon nicht verkehrt mit dem Mauerfall, aber es wurde von den USA so triumphal aufgeblasen, dass man leicht über deren Verbrechen hinwegsehe.. außerdem müsse man jetzt eben aus ‚humanitären‘ Gründen ‚intervenieren‘ und neues Kriegs-Vokabular erfinden, um eigenen Machtinteressen durchzusetzen. Das waren alles extrem klare und offene Worte und dabei in keiner Weise aufdringlich oder polemisch. Er nannte listete einfach Fakten auf und erklärte Zusammenhänge.
In der vergangenen Woche war ich in Harvard bei einem Vortrag über das Higgs-Boson und dessen Entdeckung und Bedeutung (der sollte irgendwann hier zu sehen sein). Die Vortragende war eine Professorin, die schon seit Ewigkeiten mit dem CERN zusammenarbeitet und einen der unzähligen Detektoren im ATLAS-Experiment mitgebaut hat. Näher kann man nun wahrlich kaum an den Puls der Wissenschaft kommen.. die Vorlesung war für die Öffentlichkeit und daher recht wenig technisch, aber hey — ich habe die echten Diagramme gesehen, aus denen auf die Existenz des Higgs-Bosons geschlossen wurde. Jiha!
In der Woche davor war ich bei einem Vortrag von einem der Entwickler von TOR; die sitzen übrigens gleich bei mir um die Ecke. Es ging vor allem um die Entwicklung von TOR in Hinsicht auf mobile Geräte.
Kurzum: es tummeln sich hier echt viele spannende Leute und diese Vorträge sind wirklich ein echtes Highlight.
Ansonsten bin und bleibe ich hier aber skeptisch, was diese Einrichtung angeht.. es ist eine Firma/Fabrik, die kluge Köpfe produziert, aber eben auch ein Auffangbecken für ziemlich interessante Menschen.
Zum Schluss noch ein Bild vom bereits erwähnten ‚infinite corridor‘. Der strahlt wirklich eine Aura aus; schwer zu beschreiben. Und praktisch ist er auch — in der vergangenen Woche war es richtig kalt, so dass ich die Hälfte meines Heimwegs über den Flur zurücklegte.
Hallo Till,
Intressant zu lesen , was du über 1989 schreibst,
Fest steht doch, daß man den Menschen die auf die Strasse gingen und NICHT
wissen konnten ,daß NICHT geschossen wurde , danken muß .(4.11.89 , große Demo.in Berlin).Zur Zeit denkt man viel an diese Zeit. Machs gut , ein schönes WEwuenschen dir Opma
Der Gang sieht sehr Segway- oder wenigstens City-Scooter-geeignet aus! (wahlweise auch Bobby Car 😉
Stimmt! Bobby car races von der Campus Day Care auf dem Korridor.
@Till: organisier das doch mal – prima Charity Project.
Kinder? Man ist am MIT, um zu studieren oder aber um seine Kraft Forschungsprojekten von Novartis/Pfizer/DARPA zu widmen..
ihr schwebt in verkehrten Sphären
😉
na aber es muss doch für wissenschaftlichen Nachwuchs gesorgt werden, oder?!
naja: der Prof hier heiratet nicht, weil heiraten zu schlechten Wissenschaftlern führe. Gegen Kinder ist er auch, weil die eklig seien — voller Keime und so. Beides meint er vollkommen ernst.
…
hahah, first things first
@Oma: du hast vollkommen Recht! Das kam auch in dem Vortrag sehr gut herüber. Die Menschen damals hatten Tiananmen im Hinterkopf… und es ist auch nachgewiesen, dass bei der großen Montagsdemo im Oktober ein DDR-Tiananmen geplant war (Waffen, Munition und Leute waren bereit)! Dass es doch nicht dazu kam, wird darauf geschoben, dass die Wachleute auf einmal ihre Nachbarn und Freunde auf der Straße sahen und anfingen zu begreifen… für mich alles sehr schwer nachzuvollziehen, aber ziemlich spannend, da ich ja nun gerade geboren wurde, als es kippte.
@ Friedi: das ist er auch, wenn da aber nicht die vielen Menschen wären. Das Foto ist an einem Sonntagnachmittag aufgenommen und selbst da sind ziemlich viele unterwegs (ich ja auch). An Wochentagen ist es ziemlich voll dort, weil nämlich sämtliche Vorlesungssäle vom Infinite Corridor abgehen. Eingeweihte nehmen daher den corridor, der eine Etage darüberliegt, aber nicht ganz so unendlich ist.. 😉