Ich habe zur Zeit so viele Bücher gleichzeitig „in der Mache“ und noch eine lange Liste von „zu-lesen“ im Kopf… ein Buch davon muss ich aber wirklich mal empfehlen: Unterleuten von Juli Zeh.
Ich höre es als Hörbuch und genieße es so richtig. Es spielt in einem fiktiven Dorf bei Berlin, nah genug, dass einige Berliner dahin pendeln zur Arbeit und fern genug, dass es wie eine vollkommen eigene Welt erscheint. Es gibt relativ wenig Handlung – es geht darum, dass eine Investmentfirma einen Windpark direkt am Dorf errichten will…. und das war es auch schon. Absolut genial gemacht ist der Blick auf die Charaktere der Dorfmenschen, die in diesem kleinen Kosmos miteinander und gegeneinander leben. Es gibt natürlich den Konflikt zwischen den Alteingesessenen und den Stadtflüchtigen aus der Hauptstadt, es geht um die wirtschaftlichen Probleme eines Agrar-Betriebes, aber im Wesentlichen geht es einfach nur um Leute wie du und ich.
Die Erzählperspektive des Romans wechselt zwischen den einzelnen Protagonisten und das ist für mich das absolut Faszinierende an dem Buch: jeder, wirklich jeder hat irgendwelchen Dreck am Stecken. Und aus der Sicht der anderen wirkt jeder wie ein egoistisches Arschloch oder wie ein totales Klischee (der militante Vogelschützer, die Ratgeberbüchern vertrauende Jung-Unternehmerin, der IT-Nerd, der Dorf-Patriarch, die verbitterte vernachlässigte Ehefrau, der Wendeverlierer usw.) – aber wenn jeder einzelne seine Sicht auf die Welt erklärt und reflektiert, warum er dies und jenes genau so gemacht hat…. dann versteht man plötzlich jeden. Mich macht das irgendwie betroffen, wie es schon so schön in der Buchbeschreibung heißt: „Und wie kommt es, dass immer alle nur das Beste wollen, und am Ende trotzdem Schreckliches passiert?“
Ich verfechte ja die Idee, dass wir Weltfrieden hätten, wenn jeder seinen Nachbarn einfach nur in Ruhe leben lässt – egal welcher Hautfarbe er ist, egal an welchen Gott er glaubt, egal ob er Pflanzen oder Tiere isst… Aber so leicht ist das eben nicht. Weil einfach jeder meint, dass seine Sicht auf die Welt die beste ist. Und mich stört, dass die immer komplexere Welt von Vielen zunehmend als reines „schwarz-weiß“ dargestellt wird. Dabei nehmen doch die Grautöne (oder Farben) zu! ein schlichtes Schubladendenken macht das Leben sicher leichter, aber siehe oben…. warum kriegen wir das einfach nicht hin im großen Maßstab?
Also, auch wenn sich das jetzt hier alles etwas „schwer“ anhört – das Buch ist ein Vergnügen. Das Einzige, was mich stört, sind die eigenwilligen Kapitelüberschriften, die immer dem Nachnamen der Person entsprechen, aus deren Sicht gerade das Kapitel erzählt wird und normalerweise werden die Akteure mit ihren Vornamen genannt. Eagl, alles in allem eine komplette Lese-Empfehlung. Oder auch Hör-Empfehlung, denn das Hörbuch ist auch sehr gut gelesen.
nach ’spieltrieb‘ und ’nullzeit‘ war ich eher enttaeuscht von frau zeh, aber anscheinend sollte ich ihr eine neue chance geben. klingt gut, das buch!