Seit einigen Wochen ist in den USA erneut ein Debatte über ‚Schwarze‘ und ‚Weiße‘ entbrannt. Hintergrund: ein weißer Polizist hat im August einen schwarzen Teenager erschossen (22 Schüsse wurden abgegeben!) und es wurde entschieden, dass er dafür nicht angeklagt werden sollte. Diese Entscheidung hat zu vielen Protesten geführt. Am MIT waren Dutzende Flugblätter zu finden, auf denen ‚Black Lives Matter‘ stand. Diesen Slogan habe ich auch auf vielen Tafeln gesehen und so weiter. Das Unfassbare: ich habe auch eine Tafel gesehen, auf der ‚Black‘ durchgestrichen war. Nicht viel später schickte der Präsident des MIT eine E-Mail herum, in der er sich einigermaßen geschockt zeigte.
Im Juli wurde ein Schwarzer von einem weißen Polizisten erstickt, weil er angeblich einzelne Zigaretten verkaufte (mehr Infos hier). Vor wenigen Tagen fiel auch hier das Urteil, den weißen Polizisten nicht anzuklagen. Auch darauf folgte eine Protestwelle. Gestern wurde auf einer der Brücken demonstriert, die Boston mit Cambridge verbindet — der gesamte Feierabendverkehr wurde lahmgelegt. Wie man sich leicht vorstellen kann — das Polizeiaufgebot war immens.
Diese Nachrichten sind unfassbar und schockierend. Punkt. Leider, leider, leider sind sie jedoch gar nicht überraschend — das wird mir immer deutlicher durch meine Zeit am MIT. Ich weiß, dass die These sehr gewagt ist, doch wenn einem zeitlebens gesagt wird, man sei ein besserer Mensch, wenn man mehr Macht habe und man sei ein noch besserer Mensch, wenn man diese Macht nutze, um ‚Unwissende‘ in die richtige Spur zu bringen, dann — so denke ich — ist auch so etwas möglich wie oben… Dieses elitäre Denken, Fühlen, Handeln und Ausbilden, wie es vom MIT (und vllt. auch von Harvard) betrieben wird, ist für mich einfach nichts Erstrebenswertes. Ich hätte nicht erwartet, dass der Unterschied so groß sein würde. Ich habe ja schon mal in den USA gelebt und das Bildungssystem kennen gelernt, an einer High School. Dort wurden jedoch hauptsächlich ‚School Spirit‘ und ‚Patriotism‘ gepredigt — ebenfalls komische Konzepte, aber immerhin Ideen, bei denen es um das Wohl einer Gruppe geht. Ich bin überzeugt, dass das Bildungsideal à la MIT und Harvard insgesamt zu immer größeren sozialen Unterschieden in der Gesellschaft führt.
Ich will von detaillierteren Ausführungen absehen, um den Blog hier nicht vom Hobby- zum Politblog werden zu lassen.. Uff! Ich bin jedoch ernsthaft geschockt.
Anbei noch ein paar Bilder:
1. Tafeln wie diese waren in den letzten Tagen überall am MIT zu finden.
2. Schönes Herbstwetter in Cambridge.
3. Schönes Herbstwetter auf dem Campus.
verstehe ich richtig, dass leute sich provoziert fuehlen, wenn das BLACK gegen ALL ausgetauscht wird?
also zuerst wurde ‚black lives matter‘ zu ‚black lies matter‘ gemacht. danach wurde das black durchgestrichen und daraus ‚all lives matter‘. das hätte ich im text vielleicht deutlicher darstellen sollen.
ja, die debatte am MIT dreht sich konkret darum, dass die mehrzahl der leute sagt: alle lives mattern ganz doll! ABER: manche mattern eben mehr viel, viel mehr als andere! die black student union am MIT ist daher SEHR darauf aus, dass die nachricht ‚BLACK lives matter‘ heißt und bleibt.
für mich ist das ein bisschen vergleichbar mit der gender-aufregung an meiner uni in deutschland — die jungs regen sich regelmäßig darüber auf, dass die gleichstellungsbeauftrage eine frau sein MUSS! würde gleichstellung nicht heißen, dass das auch ein mann sein könnte? ja, natürlich, ABER es ist nun mal eine tatsache, dass männer derzeit deutlich gleicher sind als frauen und es daher nur der momentanen siutation angemessen ist, wenn es tatsächlich eine frau ist, die sich um die gleichstellung kümmert.
verstehe. danke fuer die klarstellung.
in bezug auf geschlechterhysterie finde ich die reaktion der uni leipzig gut, die einfach das generische femininum verwendet, schliesslich ist es doch klar, dass maenner natuerlich ebenfalls gemeint sind, wenn von professorinnen und doktorandinnen gesprochen wird. hat z.t. sehr interessante reaktionen hervorgerufen, wie ich fand.
ich finde den leipziger vorstoß prima! es geht ja bei der aktion auch darum, durch das generische femininum einfach mal darauf aufmerksam zu machen, dass das generische maskulinum existiert; darauf aufmerksam zu machen, warum es existiert und dass es echte konsequenzen hat; darauf aufmerksam zu machen, wie stark männergeprägt die landschaft ist.
es ist aber einfach übel und erschreckend zusehen, wie das establishment darauf reagiert — ich weiß nicht, ob ich das noch ‚interessant‘ nennen würde. ein aktuelles beispiel ist das hier:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/profx-als-geschlechtergerechte-sprache-fuer-professoren-13268220.html?printPagedArticle=true
und diese art der reaktion des establishments ist für mich qualitativ überhaupt nicht verschieden von der reaktion, die man in den usa von weißen auf die shootings sieht: das sind doch einzelfälle, da wird ein trend heraufbeschworen und überhaupt — alle leben sind doch wichtig, nicht nur die der schwarzen.
!gruselgrusel!
ja, die profx-debatte fand ich auch sehr entlarvend. diese abwehrreaktionen, die anscheinend sofort in gang gesetzt werden (was genau ist eigentlich die ursache dieser angst? „machtverlust“ ist mir zu diffus, ich habe eher das gefuehl, dass einfach die veraenderungs“gefahr“ an sich aengste hervorruft) und jede echte auseinandersetzung mit dem problem verhindern. ich finde das x auch eher stoerend und unpassend, aber der grundgedanke dahinter ist doch durchaus etwas, das man ernsthaft diskutieren koennte, statt ausfallend zu werden.
Zum elitären Wahn der USA: ein heute renommierter Berliner Architekt arbeitete in den 70ern erfolgreich in NYC bei Phillip Johnson. Als er nach einigen Jahren beschloss, nach D. zurückzukehren, fertigte ihn sein Chef mit den Worten ab: „Walter, all smart people are or want to be american. I thought you were smart.“
Da wusste der Architekt, warum er nicht bleiben wollte.