Ich werde meinen Bericht über Jerusalem auf jeden Fall noch vervollständigen, spätestens, wenn ich die Bilder durchgehe, aber jetzt wollt ich erstmal mit anderen Erlebnissen, die nicht so gut fototechnisch dokumentiert sind, fortfahren.
Im Moment sitze ich mitten in Tel Aviv in einer Loft-artigen Wohnung, spüre den allmählich frischer werdenen Abendwind im Nacken, höre ein gerade begonnenes Rockkonzert quasi vor der Tür und sehe die Bürotürme von Tel Aviv allmählich in sanftes Abendlicht getaucht.
Der Workshop ist vorbei, das Weizmann Institut liegt hinter mir – heute morgen nahmen die letzten Verbliebenen den Zug von Rehovot nach Tel Aviv, um die letzten Stunden bis zum Abflug zu vertun. Gerade als ich kurz drüber nachdachte, ob mir unwohl dabei sein würde, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen in einem Land, das relativ oft mit Anschlägen geplagt ist, kamen wir am Bahnhof an und wurden erstmal von der Sicherheitskontrolle aufgehalten. Ohne Pass und Gepäckdurchleuchtung wären wir nicht mal zum Ticketschalter gekommen! Und mit ner gefüllten Wasserflasche im Gepäck erst recht nicht! Die Kontrollen waren deutlich strenger als an den meisten europäischen Flughäfen, allerdings durfte ich meine Schuhe anbehalten. Ich frage mich, ob das an allen Bahnhöfen im Land so ist…Als wir endlich auf dem Bahnsteig angelangt waren, folgte die nächste Überraschung: da fuhren lauter deutsche Regionalbahnen ein! Die Züge sahen wirklich 100%ig aus wie die in deutschen Bahnhöfen, auch das Innenleben war dasselbe – da kamen Heimatgefühle auf!
Tel Aviv ist auf den ersten Blick ganz anders als Jerusalem – eigentlich wirkt es wie eine amerikanische Mittelgroßstadt am Mittelmeer. Vom Bahnhof trat man direkt auf eine mehrspurige Straße, die gesäumt war von Glas- und Betonmonstern inklusive einer großen Mall. Während wir mit dem Taxifahrer verhandelten, der uns ganz offensichtlich ausnehmen wollte (z.B. sollten wir für unser Gepäck extra zahlen), kamen sofort hilfsbereite Passanten dazu und erklärten uns, wo wir hin wollten und dass wir den Bus nehmen könnten usw. Schon auf dem kurzen Weg zum Bahnhof in Rehovot war mir aufgefallen, dass beim kleinsten Anzeichen von Unsicherheit (stehenbleiben, Karte herauskramen…) sofort Hilfe angeboten wird, gern auch in allen möglichen verschiedenen Sprachen. Jedenfalls entschieden wir uns, zu meinem Gastgeber für die nächsten drei Tage zu laufen, das Gepäck dort zu lassen und noch einen kurzen Ausflug zum Strand zu machen. Leider hatten meine Kollegen wirklich nicht viel Zeit, um den Strand zu genießen, aber ich habe bei dem Anblick und v.a. dem Anfühlen beschlossen, dass ich die nächsten Tage einfach mal Strandurlaub machen werde. Ich habe noch so viele Eindrücke aus den letzten Tagen (menschlich, wissenschaftlich, kulturell…), dass ich nicht in demselben Tempo weitermachen muss, auch wenn Ausflüge sicherlich zeitlich und organisatorisch möglich wären. Aber ich denke, dass es vielleicht ganz gut tut, die Erlebnisse der letzten Tage am Strand liegend noch mal Revue passieren zu lassen. Mal schauen 🙂
Mein Gastgeber ist der Bruder von einem Couchsurfer, den ich in Würzburg traf, während er dort promovierte. Die Wohnung seines Bruders ist für Tel Aviv wohl unglaublich groß (ich werde morgen die Wohnung der Schwester als Vergleich haben), es gibt ein schönes, helles Wohnzimmer mit einer großen Fensterwand. Der Schnitt der Wohnung ist wirklich sehr modern, aber die Bausubstanz sieht unglaublich alt und abgewohnt aus. In Deutschland würde man sowas vermutlich kaum mehr vermietet bekommen, aber hier zahlen die beiden (Bruder & Freundin) ein kleines Vermögen. Vor ein paar Monaten gab es ja große Studentenproteste gegen die überzogenen Mieten und die Wohnungsknappheit in Tel Aviv und auch gegen die unverhältnismäßig hohen Lebenshaltungkosten – ich werde meine Gastgeber auf jeden Fall noch weiter dazu befragen, aber das erste Detail, das mir auffiel, waren die Codes, die auf vielen Lebensmittelverpackungen waren. Wenn man die mit dem Smartphone einscannt, bekommt man einen Überblick darüber, wie viel das Produkt, das man gerade in den Händen hält, in anderen Läden in der Umgebung kosten. Das ist wohl eines der Ergebnisse der Proteste…
Nachdem ich vom Strand zurückkehrte, setzte ich mich brav an die Präsentation, die ich bis Montag unbedingt fertig haben muss – eigentlich war es recht gemütlich, denn Adam, mein Gastgeber, musste ebenfalls lernen und so saßen wir gemeinsam in der Hitze von Tel Aviv und wälzten Gedanken und Papers…