Gestern war mir danach, was anderes zu stricken – weil ich mich sozusagen nicht entscheiden konnte zwischen meinen beiden Lieblingsstricksachen, die ich momentan auf den Nadeln habe ( Viften zum einen und den Koigu-Pulli zum anderen).
Klar, dann fängt frau einfach was Neues an. Und dann noch sowas Adrettes, so einen Lappen… lasst euch überaschen, ich denke mal, am Samstag wird der Schmetterling geschlüpft sein. Vielleicht.
Ansonsten habe ich jetzt "den Turm", den vielgepriesenen Wenderoman in die Ecke … also ich lese ihn nicht zu Ende. Komisch, das Buch hat alles, was ich sonst mag: üppige, ausufernde Geschichten und Geschichtchen, gerne auch von Randpersonen… Aber ich finde keinen Zugang dazu und ich kann nicht erkennen, was an diesem Buch dran sein sollte, dass es zukünftig im Literaturunterricht behandelt werden sollte, um die Wende zu verstehen (so las ich in einer Rezension). Oh, da würde mir ganz andere Bücher einfallen… aber egal. Aber wenn ein BUch nach 260 von 970 Seiten immer noch bockt und mir keinen Spaß macht, dann verschwende ich keine weitere Lebenszeit daran. Das ist übrigens ein Resultat meiner einsetzenden Altersweisheit: früher "musste" ich Bücher immer zu Ende lesen. Sozusagen als Pendant zu einem bekannten dekadenten Spruch: Das Leben ist zu kurz um kangweilige Bücher zu lesen.
Jetzt habe ich mit viel Spaß die Biographie von Inge Müller, der Ehefrau Heiner Müllers begonnen.
Jedenfalls polarisiert das Buch gründlich: Man ist ganz dafür oder ganz dagegen – ein interessantes Phänomen.
Ich hatte es unterm Tannenbaum und habe an dem mir erstmals gewährten Extra-Feiertag an Dreikönig zu lesen begonnen. Was mich etwas überrumpelt hat war, dass auf einmal wieder das damalige Lebensgefühl wach wurde in ganz vielen direkt emotional zugreifbaren Details. Dabei dachte ich bis dahin immer, ich würde ohnehin zu viel Zeit damit zubringen, das Stück meines Lebens für andere erzählbar zu machen statt zu sehen, was die Zukunft noch für Wege offen hält. Auf einmal hatte ich wirklich wieder Zugriff auf die Person von damals und mir wurde erst richtig die innere Distanz und damit die inzwischen gelebte Zeit bewußt (irgendwie ist es sonst doch so, dass man denkt, das alles war gerade erst, die Kinder sind groß und eben waren sie noch niedliche Babies…)
Daneben gibt es Längen, die ich beim ersten Lesen übergangen habe, nicht zu Ende erzählte Stränge und prinzipiell das Gefühl, dass das Buch nicht richtig rund und gereift ist. Aber die Zeitreise, die mir gleich einige schlaflose Nächte gebracht hat, die hat es hingekriegt. Dafür hat der Autor meine Hochachtung.
Gudrun aus Heidelberg