Und schon wieder ist eine Woche um – die Zeit verfliegt wirklich! Und allmählich fühle ich mich sehr wohl hier. Das frühlingshafte Wetter, das so gar nicht dem Englandklischee entspricht, hat daran einen großen Anteil, denn morgens bei strahlendem Sonnenschein in das malerische Stadtzentrum zu fahren, ist einfach nett. Außerdem kann ich immer selbstständiger im Labor die Arbeit an meinem Projekt übernehmen – diese Woche habe ich von 500 Fliegenmännern die DNA analysiert, um zu schauen, welcher Nachwuchs für meine weiteren Untersuchungen in Frage kommt. Eigentlich hätten es 2000 sein sollen, aber eine Kombination vielfältiger unglücklicher Umstände (der Beitrag meiner Unerfahrenheit fiel im Vergleich dazu glücklicherweise gering aus) hatte die Anzahl der geeigneten Fliegen dezimiert – für mich gar nicht schlecht, denn so hatte ich relativ viel Zeit diese Woche, um alle möglichen Dinge bei der Analyse auszuprobieren, und um das Optimum zu finden, was wir in zwei Wochen für ein anderes Projekt im größeren Maßstab brauchen werden.
Gestern Abend habe ich mich dann trotz einer kleinen Erkältung und großer Erschöpfung noch aufgerafft, zu einem Diskussionsabend mit Vorträgen von Rupert Sheldrake und Lewis Wolpert zu gehen – ich habe es nicht bereut! Für die mitlesenden Kommilitonen – Lewis Wolpert ist der, der gesagt hat "It is not birth, marriage, or death, but gastrulation, which is truly the most important time in your life." So, wie es klang, hat er auch maßgeblich das French Flag Modell begründet. Für alle anderen: Er ist ein angesehener Biologe, er hat vor allem die Entwicklunsbiologie vorangebracht, also die Lehre davon, wie sich aus einem Zellhaufen ein Fötus und letzten Endes ein Mensch entwickelt. Ich war von Anfang an sehr beeindruckt von ihm, er muss um die 80 sein, und seine Erscheinung entspricht dem absoluten Klischee des emeritierten Wissenschaftlers: knorrig, etwas überheblich, aber sehr präzise in der Wortwahl, und auf der Mission, der Menschheit die Biologie näher zu bringen. Ich wünschte, meine Bio-Vorlesungen im 1. Semester wären von ihm gehalten worden, denn seine Erklärungen entsprechen genau meinem Lern- und Lehrstil – voller Bilder und auf den ersten Blick absurder Vergleiche, die aber einem zweiten Blick absolut standhalten und sehr einprägsam sind. So beschrieb er zum Beispiel die Gene, also die Abschnitte der DNA, auf denen die Informationen für die Proteine stehen, als Telefonnummern, die von den wahren Arbeitstieren der Zelle, nämlich den Proteinen gewählt werden, um weitere Proteine anzurufen, zu verbinden, an die Arbeit zu schicken usw. Zitat: "DNA is rather boring. It just sits there and waits for the proteins do to all the work. DNA itself really doesn’t do anything." Wenn mir jemand eingefallen wäre, dem ich ein nettes Einsteigerbuch über die Zelle an sich auf Englisch schenken könnte, hätte ich seines gestern Abend gekauft.
Und dann war da Rupert Sheldrake. Schon vom Äußeren her der Gegenpol zu Wolpert – er müsste Ende 50 sein und wirkte ein bisschen wie ein alternder Soap-Darsteller. Den Eindruck hatte man allerdings nur, so lange man ihn nicht näher beobachtete, denn tatsächlich hat der Mann wahnsinnig viele Ticks, die ihn wesentlich jünger und geradezu linkisch wirken lassen (think Monk!). Im Gegensatz zu Wolpert hatte er auch ein Manuskript vorbereitet, an das er sich streng hielt – der Vortrag wirkte wesentlich einstudierter als der frei von der Leber weg erzählende Wolpert. Trotzdem – oder deswegen – war es ein sehr durchdachter Vortrag, dessen Argumente gut vorgebracht wurden. Sheldrake ist ein Enfant terrible der Biowissenschaften; er hat in Cambridge und Harvard studiert und einige Zeit als Biochemiker mit Pflanzen gearbeitet und dabei durchaus wichtige wissenschaftliche Beiträge geleistet. Seit etwa 20 Jahren allerdings hat er sich der Theorie der morphogenetischen Felder zugewandt, was ihn zu einer Art Aussätzigen in den Augen der meisten anderen Wissenschaftler hat werden lassen. Eine der grundlegenden Frage, die er sich stellt, ist: Woher wissen die Moleküle, welche Form sie annehmen sollen? Die Antwort, die er für sich darauf gefunden hat, scheinen die morphogenetischen Felder zu sein.
Er begann seinen Vortrag mit dem Beispiel einiger Einzeller, die die verschiedensten Formen annehmen können (googelt mal Radiolarien). Sheldrake ist der Meinung, dass es einen unsichtbaren Plan, eben ein morphogenetisches Feld gibt, dementsprechend die Moleküle ihre Plätze einnehmen. Diese Felder sind nicht statisch, sie sind veränderbar, d.h. einmal Gelerntes wird über Generationen hinweg an die Angehörigen der gleichen Spezies weitergegeben, weil diese ein gemeinsames morphogenetisches Feld teilen. Ein Zitat dazu: "When rats in Harvard are trained to do something, rats in Cambridge will learn the same treat more easily because the morphogenetic field they share has now the information about the newly trained stuff." Ich fand vieles, was er anbrachte, eher krude, aber einige Fragen, die er stellte, war durchaus interessant und bedenkenswert, denn in der Tat ist es eigentlich fast ebenso schwer vorstellbar, dass die große Vielfalt an Formen, die wir allein bei Einzellern sehen, nur durch Self-Assembly zustande kommen soll, wie die Vorstellung der morphogenetischen Felder. Über die Natur dieser Felder lässt sich natürlich vorzüglich streiten, und gerade in diesen Punkten fand ich seine Argumentationen eher schwammig, weil ihm einfach die Beweise fehlen. Trotzdem punktet er natürlich, wenn er anbringt, dass die meisten Wissenschaflter diese Theorien nicht deswegen ablehnen, weil sie darüber nachgedacht und sie für nicht zutreffend befunden haben, sondern weil sie einfach keine Lust haben, sich Gedanken über solche Fragen zu machen und lieber an die "Physik des 19. Jahrhunderts" glauben – einige Quantenphysiker finden Sheldrakes Theorien nämlich durchaus ansprechend. Das trifft auch ganz gut meine Gefühle über die morphogenetischen Felder, denn für mein Verständnis von der Biologie klingen sie genauso merkwürdig wie einige der wenigen Dinge, die ich von der Quantenphysik gehört habe – beide Lehren widersprechen einfach vielen Aspekten unseres gewöhnlichen Menschenverstands – was nicht heißen muss, dass sie falsch sind, aber daran zu glauben verlangt durchaus einen "act of faith".
Von der Diskussion dieser beiden Männer hatte ich mir nach den beiden überzeugenden Vorträgen allerdings mehr versprochen, als dann gehalten wurde, denn nach einem kurzen – brillanten – Schlagabtausch hatte man den Eindruck, dass Wolpert aus irgendeinem Grund eingeschnappt war. Das führte dazu, dass er die Beantwortung der Fragen aus dem Publikum komplett Sheldrake überließ, der sofort aufblühte und offensichtlich froh war, keine Angriffe des durchaus ausfällig werdenden Entwicklungsbiologen mehr zu befürchten – auf einmal konnte er auch etwas stiller sitzen ohne seine Beine hin und her zu schaukeln und sich abwechselnd auf eine oder beide Hände zu setzen…
Alles in allem waren es sehr intensive anderthalb Stunden – viele Dinge muss ich erst noch verdauen und mir noch mal durch den Kopf gehen lassen -aber genau solche Erfahrungen habe ich mir von Cambridge versprochen!
also Herrn Sheldrake hätte ich extrem gern mal kennengelernt.
Ich habe ja mal vor zig Jahren einen Artikel dazu gelesen, könnte 1990 oder 1991 gewesen sein, in der Zeit.
Ich finde viele seiner Experimente einfach spannend. u.a. erinnere ich ich an diese Geschichte, wo englischsprechende Studenten japanische Kindergedichte lernen sollten. Aber nur eines war ein echtes Kindergedicht, das andere waren sinnlose Lautfolgen. Und das echte Gedicht wurde am besten und schnellsten gelernt (weil ja das morphogenetische Feld auch was weiß darüber).
Echt spannend!!! Und wie du schon schreibst keineswegs unrealistischer als manch andere Theorie der Erde 😉
(nein, ich geh jetzt nicht auf global warming ein, keine Bange!)
Lieben Gruß und frohes Weiterlernen!
mummel